Buch
Stol­per­stein An­nen­straße 34, Graz
Stei­er­mark, Ös­ter­reich. Fo­to: Da­nie­la Gra­be
Glo­bal Po­si­tio­n­ing Sys­tem (GPS)
47° 07' 12.74" Nord,15° 42' 62. 77" East
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Fol­ge 10(13)

April 2016
Tech­ni­sche Uni­ver­sität Ber­lin. Me­di­en­wis­sen­schaft. Pra­xis­pro­jekt
IFAM: Das In­sti­tut für an­ge­wand­te Me­di­en­wis­sen­schaft - Fried­rich Knil­li (ifam-ber­lin.de)
  1. Fried­rich Knil­li

    Ein jü­di­scher »Stei­rer­bua« er­obert Schang­hai

    Wil­helm Spiel­mann be­saß zwei Ge­schäf­te in der An­nen­straße. Im Haus Nr. 34 durf­te er fer­ti­ge Klei­dung ver­kau­fen, weil er die­sen Be­ruf er­lernt hat­te und dafür ei­nen Ge­wer­be­schein be­saß. Im Haus Nr. 25 ver­kauf­te er Maßklei­dung, brauch­te dafür aber ei­nen Schnei­der­meis­ter als Ge­schäfts­part­ner, weil er kein Schnei­der war, was im­mer wie­der zu Schwie­rig­kei­ten führ­te, die er mit ei­nem Schnei­der in der Fa­mi­li­en zu über­win­den ver­such­te.

    Aber we­der sein Bru­der Ru­dolf woll­te die­ses Hand­werk er­ler­nen, auch nicht Toch­ter Gre­te, nicht Hans. Nur bei sei­nem jüngs­ten Sohn Ernst konn­te er In­ter­es­se für die Schnei­der­kunst we­cken, für fal­ten­freie Sac­cos, gut sit­zen­de Ho­sen, di­cke Win­ter­män­tel. Ob Va­ter und Sohn die Ge­schich­te vom ar­men Schnei­der­lein kann­ten, das die Leu­te für ei­nen pol­ni­schen Gra­fen hiel­ten, weil es so vor­neh­me ge­klei­det war?

    Zehn­tes Ka­pi­tel
    A hand­so­me man

    FRITZ: Er­zähl von dei­nem Va­ter. von sei­ner Kind­heit und sei­ner Ju­gend in Graz .

    SU­SI: Na­ja, ich weiß, dass er nicht be­son­ders ger­ne im Ge­schäft sei­nes Va­ters wei­ter­ma­chen woll­te. Aber er fühl­te sich ge­zwun­gen, dass er das soll, weil Hans ja in Spa­ni­en war. Und die Gre­tel stu­dier­te. Und er woll­te ei­gent­lich nicht Schnei­der sein, er hat­te kei­ne große Lust.

    BuchHel­mut Spiel­mann:
    "Shang­hai -
    ei­ne Ju­gend im Exil"

    Her­aus­ge­ge­ben von
    Ge­rald Lam­precht und
    In­ge­borg Ra­dims­ky.
    Clio Ver­lag Graz 2015
    Preis: Eu­ro 18.00

    FRITZ: Aber er hat in Syd­ney dann aber doch in der Tex­til­in­dus­trie ge­ar­bei­tet

    SU­SI: Ja, das war, was er konn­te.

    FRITZ: Und wel­che Po­si­ti­on hat­te er da?

    SU­SI: Am An­fang glau­be ich Schnei­der, aber dann hat er noch stu­diert und wur­de dann pro­duc­tion-ma­na­ger. Da wa­ren so un­ge­fähr 50 Ar­bei­ter und he was the ma­na­ger.

    FRITZ: Fir­ma?

    SU­SI: Er­nest Hil­ler, mens ap­pa­rel.

    FRITZ: Hat er dei­ne Mut­ter in Syd­ney ken­nen ge­lernt?

    SU­SI: In Ham­burg. Er war noch in der Bri­ti­schen ar­my und da war so ei­ne Par­ty.

    FRITZ: Wie alt war dei­ne Mut­ter da­mals?

    SU­SI: Ich glau­be erst 24. Und er war 9 Jah­re äl­ter als mei­ne Mut­ter.

    FRITZ zum Fo­to: Ei­ne sehr, sehr schö­ner Frau. Sie lebt noch?

    SU­SI: Ja, sie ist jetzt 88 und spielt im­mer noch Ten­nis.

    FRITZ: Ha­ha­ha. Herr­lich. Und aus wel­cher Fa­mi­lie kam dei­ne Mut­ter?

    SU­SI: Beh­rens. Ihr Va­ter hieß Ru­dolf Beh­rens. Er be­saß ein fish-can­ning-ge­schäft. Ziem­lich groß. Kon­ser­vie­ren. Und dann in Deutsch­land ver­kauft in cans.

    FRITZ: Be­saß er Häu­ser?

    SU­SI: JA, ein paar Häu­ser. The­re was a fac­to­ry and then the­re was a big gar­den and then four hou­ses. Da leb­te sei­ne Mut­ter, sei­ne Schwes­ter, sei­ne Fa­mi­lie.

    FRITZ: Ar­bei­te­te die Fa­mi­lie im Be­trieb?

    SU­SI: Nein, er hat sie nur un­ter­s­tützt.

    FRITZ: Und war das für ihn oder für die Fa­mi­lie Beh­rens nicht sehr un­ge­wöhn­lich, dass da ein Ju­de in bri­ti­scher Uni­form ein Ös­ter­rei­cher, sei­ne Frau, sei­ne Toch­ter nach Aus­tra­li­en ver­schleppt?

    SU­SI: Über­haupt nicht.

    FRITZ: Über­haupt nicht.

    SU­SI: Ja. Und ich glau­be auch sei­ne Fa­mi­lie war nicht sehr über­rascht, dass er ein deut­sches Fräu­lein hei­ra­te­te, aber, so ist es: True love.

    FRITZ: Ha­ben sie in Deutsch­land ge­hei­ra­tet?

    SU­SI: Ja. In Ham­burg, nach ei­nem Jahr.

    FRITZ: Aha. Al­so das heißt: Du kamst 1950 zur Welt, im Ja­nu­ar, an wel­chen Tag?

    SU­SI: 29.

    FRITZ: Sie kann­ten sich dann schon...

    SU­SI: Zwei Jah­re.

    FRITZ: War er da noch in der Ar­mee?

    SU­SI: Am An­fang schon. Ich weiß nicht wie lan­ge, aber dann kam es ir­gend­wann zum Ab­schied von der Ar­my. Er kauf­te sich ei­nen Last­wa­gen und dann noch ei­nen zwei­ten. Und dann hat­te er, glau­be ich, so zwei oder drei Lie­fer­trucks be­ses­sen und ein Spe­di­ti­ons- Ge­schäft be­trie­ben.

    FRITZ: Was er­zähl­te er von Paläs­ti­na, von sei­nem Ein­tritt in die bri­ti­sche Ar­mee? Was er­zähl­te er von der Zeit zwi­schen Graz und Ham­burg?

    SU­SI: Nicht viel. Er war in Ägyp­ten, auch in Ita­li­en.

    FRITZ: Er war zu­n­ächst in Paläs­ti­na mit sei­nen El­tern ein­ge­wan­dert, oder kam er al­lein?

    SU­SI: Nein, er kam mit sei­nen El­tern, die Gre­tel kam da­nach, sie war auch in Ita­li­en, sie war Ärz­tin in Ita­li­en für ei­ne Wei­le. Und ich weiß, er war im Ge­fäng­nis für ei­ne Wei­le in Paläs­ti­na. Aber was er mir er­zähl­te, weiß ich nicht, ich war zu jung.

    FRITZ: Du er­zähl­test, dass du als Kind in Syd­ney im­mer wie­der als Na­zi be­schimpft wur­dest.

    SU­SI: Ja, in der Schu­le

    FRITZ: Bei­spiel?

    SU­SI: Es war, ich glau­be mein ers­tes Jahr auf der High School, da muss­te ich zwölf oder elf ge­we­sen sein und da ging ich an ei­nem Haus vor­bei und da kam ein Jun­ge raus und der hat so über die Straße ge­ru­fen "Na­zi, Na­zi", weil er wuss­te, dass mei­ne Mut­ter Deut­sche war. But it didn't up­set me that much, I was mo­re frus­tra­ted. Weil ich wuss­te, mein Va­ter war in der bri­ti­schen Ar­mee.

    FRITZ: Dein Va­ter ist ja als Ju­de auf­ge­wach­sen und wur­de als Ju­de ge­tauft, hat er den Glau­ben bei­be­hal­ten?

    SU­SI: Nein, Über­haupt nicht.

    FRITZ: Als dei­ne Mut­ter ihn ken­nen­lern­te, hat er sich da noch als Ju­de ver­stan­den?

    SU­SI: Ich glau­be, das spiel­te kei­ne große Rol­le. Und ich glau­be die Fa­mi­lie war auch ganz li­be­ral, nicht or­tho­dox, not very strict.

    FRITZ: Und wie ging es bei dir wei­ter? Du hast ei­ne Volks­schu­le be­sucht in Syd­ney?

    FRITZ: Und dann ei­ne...

    SU­SI: High­school. Fer­tig ge­macht und dann...?

    FRITZ: Woll­test du ei­nen Be­ruf er­ler­nen?

    SU­SI: Ja, ich woll­te da­mals Sport­leh­re­rin wer­den. Aber dann sind mei­ne Mut­ter und ich nach Eu­ro­pa ge­gan­gen, ich war da­mals 18.

    FRITZ: Wo­hin nach Eu­ro­pa?

    SU­SI: Ach, übe­r­all. Eng­land, Deutsch­land, Ita­li­en, Frank­reich.

    FRITZ: War das nur ei­ne Rei­se oder..?

    SU­SI: JA, ei­ne Rei­se. Mei­ne Mut­ter blieb so, sechs Mo­na­te und ich blieb noch so neun Mo­na­te län­ger.

    FRITZ: ...und wo ge­nau?

    SU­SI: In Mün­chen, da ha­be ich ei­ne Han­dels­schu­le be­sucht. Dort wohn­te auch der Bru­der von mei­nem Opa und ich war am Wo­chen­en­de meis­tens dort.

    FRITZ: Müt­ter­li­che Sei­te?

    SU­SI: Von Ru­dolf, dem Va­ter mei­ner Mut­ter. Und ich ha­be in Mün­chen ge­wohnt, in so ei­nem Wohn­haus für jun­ge Da­men zwi­schen 18 und 25, so un­ge­fähr. Das war lus­tig da­mals.

    FRITZ: Wur­det ihr sehr behü­tet?

    SU­SI: Was heißt behü­tet? Wir muss­ten um zehn Uhr zu Hau­se sein. Nur zu Fa­sching durf­ten wir län­ger weg sein.

    FRITZ: Nach der Han­dels­schu­le ...

    SU­SI: ...bin ich wie­der nach Syd­ney ge­gan­gen.

    FRITZ: Woll­test du in die Fir­ma, in der dein Va­ter ar­bei­te­te?

    SU­SI: Nein, über­haupt nicht. Ich hat­te dann Wan­der-Lust und ich woll­te dann nicht mehr stu­die­ren son­dern ar­bei­ten um dann Geld zu ver­die­nen, da­mit ich dann wie­der rei­sen konn­te.

    FRITZ: Al­so rei­sen war dein Hob­by?

    SU­SI: Ja.

    FRITZ: Und was hast du da ge­ar­bei­tet?

    SU­SI: Zu­erst für ei­ne deut­sche Fir­ma We­sel­hüt­te oder Wolf (bin mir nicht ganz si­cher ob der Na­me ganz ge­nau­so stimmt), die ha­ben so mi­ning, so ganz große Aus­rüs­tung ge­lie­fert. Nach Aus­tra­li­en, für das mi­ning in Nothern Ter­ri­to­ry.

    FRITZ: Gerä­te?

    SU­SI: Sehr große Gerä­te

    FRITZ: Und was hast du bei die­ser Fir­ma ge­macht? Als Über­set­ze­rin?

    SU­SI: Ja, ja und PA, per­so­nal as­sis­tant. Und dann konn­te ich so biss­chen Deutsch, Kurz­schrift, das ha­be ich in Mün­chen ge­lernt. Und dann mit 22 bin ich nach Mün­chen zur Olym­pia­de, da ha­be ich ge­ar­bei­tet, in der Turn­hal­le.

    FRITZ: Was hast du da ge­macht?

    SU­SI: Al­les, für die gan­zen eng­li­schen Teams ha­be ich über­setzt. Und da war ein Fran­zo­sin und ei­ne Deut­sche und ich für das Eng­lisch.

    FRITZ: Und das wa­ren ei­ni­ge Mo­na­te oder wie lan­ge hast du da ge­ar­bei­tet?

    SU­SI: So un­ge­fähr vier Mo­na­te

    FRITZ: Und da­nach?

    SU­SI: Dann bin ich nach Schott­land und im An­schluß ha­be ich Gre­tel in Is­ra­el be­sucht. Und bei ihr so zwei Mo­na­te ge­wohnt in Tel Aviv, und dann auf ei­nem Kib­buz war ich so drei Mo­na­te.

    FRITZ: Wo lag der Kib­buz?

    SU­SI: Im Nor­den von Is­ra­el, in der Nähe von Ma­ha­nit.

    FRITZ: Wa­ren das deut­sche Ju­den, pol­ni­sche oder rus­si­sche Ju­den?

    SU­SI: Von übe­r­all, und nicht nur Ju­den, auch jun­ge Leu­te von Schwe­den und, ein bil­li­ger Ur­laub für die Jun­gen, das war so, 72.

    FRITZ: Okay.

    SU­SI: Dann ka­men die grie­chi­schen In­seln und der se­ven day war bro­ke out und Gre­tel hat sich ein biss­chen geär­gert, dass sie für mich ver­ant­wort­lich ist .

    FRITZ: War­um hat sie sich geär­gert?

    SU­SI: Ja, weil Krieg in Is­ra­el war und dann hat sie mir ge­sagt, ich soll nach Hau­se ge­hen, raus aus Is­ra­el. Das es nicht mehr si­cher war. Dann bin ich wie­der nach Hau­se ge­fah­ren.

    FRITZ: Nach Syd­ney.

    SU­SI: Dann ha­be ich so für ei­ne Fir­ma in der Stadt ge­ar­bei­tet, so je­wel­le­ry and sil­ver­pla­ting com­pa­ny. Und der war ein Ju­de. Ken Heker (weiß nicht ob das rich­tig ge­schrie­ben ist). Der war auch im Thea­ter, das hat er sich aber nicht aus­ge­sucht, son­dern nur co­in­si­dent.

    FRITZ: Was ge­macht ?

    SU­SI: Wie­der per­so­nal as­sis­tant, ge­ne­ral ma­na­ger.

    FRITZ: Wie lan­ge hat das un­ge­fähr ge­dau­ert?

    SU­SI: ich glau­be ein Jahr. Da­vor ha­be ich für ei­nen Der­ma­to­lo­gen ge­ar­bei­tet, so ei­nen Haut­arzt in der Stadt, für ein Jahr.

    FRITZ: Was meinst du ei­gent­lich mit per­so­nal as­sis­tant?

    SU­SI: Für ei­nen Arzt ist es so, man sagt 'Hal­lo', ver­ein­bart Ter­mi­ne, so wie ei­ne Se­kre­tä­rin.

    FRITZ: Wie alt warst du da un­ge­fähr?

    SU­SI: So 23, 24.

    FRITZ: Wo an­de­re ei­nen nor­ma­len Be­ruf er­ler­nen wol­len. Ent­we­der In­ge­nieur oder Dok­tor, warst du im­mer noch so auf Wan­de­rung, warst sehr viel un­ter­wegs. Hast du zu dem Zeit­punkt ir­gend­ein Be­rufs­ziel schon ge­habt?

    SU­SI: Nein, über­haupt nicht. Lei­der.

    FRITZ: Was heißt lei­der, war­um? Was in­ter­es­sier­te dich da­mals be­son­ders? Du hat­test sehr viel Welt schon ge­se­hen, sehr viel her­um­ge­kom­men.

    SU­SI: Ja, sehr viel.

    FRITZ: Warst ei­gent­lich noch so auf der Su­che nach was im­mer.

    SU­SI: Nein, ich hat­te kei­ne große am­bi­ti­on.I ne­ver had a goal of any kind of prof­fe­si­on.

    FRITZ: Hast du von zu Hau­se Geld be­kom­men?

    SU­SI: Nein, ich muss­te im­mer selbst ver­die­nen. Ich hat­te Spaß da­bei auch.

    FRITZ: Hast du sehr vie­le Män­ner-Freun­de ge­habt in der Zeit?

    SU­SI: Ja­ja. Und da­mals konn­te man übe­r­all ei­nen Job fin­den. Das war kein Pro­blem.

    FRITZ: Hast du Sport be­trie­ben?

    SU­SI: Ja, Ten­nis, Squash, nicht Schi­fah­ren, schwim­men, ja. Aber meis­tens Ten­nis, wie mei­ne Mut­ter.

    FRITZ: Hat dei­ne Mut­ter je ei­nen Be­ruf er­lernt?

    SU­SI: Nein, nein. Sie war zu Hau­se. Aber sie hat im­mer klei­ne Sa­chen ge­macht. Kennst du Avon (weiß nicht ob das so rich­tig ge­schrie­ben ist)? Das ist so ei­ne Hou­se-to-hou­se Ma­ke-up. Aber nicht im La­den ver­kauft son­dern von door to door.

    FRITZ: Und was hat dein Va­ter, was ha­ben dei­ne Ge­schwis­ter zu dei­nem Le­ben ge­sagt? Kri­ti­sier­ten sie dein Le­ben? Ha­ben sie dir ge­sagt 'lern ei­nen Be­ruf' oder wa­ren sie be­ein­druckt, wie läs­sig du warst? Wie wur­dest du in der Fa­mi­lie ein­ge­schätzt?

    SU­SI: Biss­chen bo­he­mi­an, ich mei­ne, zu die­ser Zeit war al­les ein biss­chen für jun­ge Leu­te

    FRITZ: In wel­chem Jahr hast du dann dei­nen spä­te­ren Mann ken­nen­ge­lernt?

    SU­SI: En­de 75. In ei­ner Wein­bar Re­stau­rant. Er war Sän­ger.

    FRITZ: In wel­chem Ort?

    SU­SI: Syd­ney.

    FRITZ: Was hat er ge­sun­gen? Schla­ger? Un­ter­hal­tungs­mu­sik?

    SU­SI: So et­was zwi­schen Ked Ste­ven, Bob Dy­lan, Jo­an­ne Mitch­well (weiß auch hier nicht ob al­les rich­tig ge­schrie­ben ist, aber ich hö­re jetzt auf das übe­r­all da­zu­zu­schrei­ben), aber auch Ei­ge­nes.

    FRITZ: Gleich alt?

    SU­SI: Fünf Jah­re äl­ter.

    FRITZ: Er kommt aus?

    SU­SI: Li­ba­non.

    FRITZ: Als Im­mi­grant oder

    SU­SI: Sei­ne Fa­mi­lie ist in Aus­tra­li­en. Aus­ge­wan­dert, ja.

    FRITZ: In Deutsch­land oder Ös­ter­reich wird die Part­ner­wahl von den El­tern meis­ten kom­men­tiert.

    SU­SI: Nein, über­haupt nicht. Das wä­re nicht klug. Und ich war mit ihm so 10 Jah­re zu­sam­men be­vor wir hei­ra­te­ten.

    FRITZ: Das heißt 75 habt ihr ge­hei­ra­tet und ihr wart schon 65 zu­sam­men?

    SU­SI: 75 ha­ben wir uns ge­trof­fen und dann 85 ha­ben wir ge­hei­ra­tet. Und dann war er auf der Uni­ver­sität und stu­dier­te.

    FRITZ: Psy­cho­lo­gie

    SU­SI: Ja.

    FRITZ: Und was hast du in der Zeit ge­macht? Be­ruf­lich, oder, wie hast du dein Geld ver­dient?

    SU­SI: Da ar­bei­te­te ich für ei­nen sehr jun­gen Mann und wir wur­den dann sehr gu­te Freun­de. Er hat ei­ne Fir­ma ge­grün­det, ma­nage­ment con­sul­tan­cy. So der contrac­ted out ma­nage­ment. Wir ha­ben nur zu zweit an­ge­fan­gen und dann wur­de die Fir­ma im­mer größer und ich ha­be da für 11 Jah­re ge­ar­bei­tet. Und tu ich auch im­mer noch.

    FRITZ: Das heißt al­so, dei­ne Sprach­kennt­nis­se und dei­ne vie­len Rei­sen ha­ben dich im­mer in dem Be­rei­che ge­führt, in de­nen es um Kon­tak­te zwi­schen Men­schen geht, um die Her­stel­lung von Kon­tak­ten.

    SU­SI: Ja.

    FRITZ: Und wann kam dei­nen Toch­ter zur Welt?

    SU­SI: 1991.

    FRITZ: Sechs Jah­re nach­dem ihr ver­hei­ra­tet ward.

    SU­SI: Ja.

    FRITZ: Das heißt, dein Va­ter hat die En­kel­toch­ter noch mit­be­kom­men?

    SU­SI: Ja, kurz. Sie ist Mai 91 ge­bo­ren und er ist im No­vem­ber 92 ge­stor­ben.

    FRITZ: Wer bei euch in der Fa­mi­lie hat­te das Sa­gen?

    SU­SI: Bei­de gleich. Aber mei­ne Mut­ter war stren­ger.

    FRITZ: Und was hat­te sie für kul­tu­rel­le Nei­gun­gen?

    SU­SI: Am An­fang hat sie zu Hau­se ein biss­chen genäht. Die hat­ten ja gar nichts da­mals. In­zwi­schen, be­vor mei­ne Mut­ter und ich in Aus­tra­li­en an­ka­men, hat mein Va­ter am Bahn­hof ge­ar­bei­tet, sau­ber ge­macht und Ti­ckets ver­kauft.

    FRITZ: In Syd­ney?

    SU­SI: Ja.

    FRITZ: Und wie lan­ge un­ge­fähr?

    SU­SI: Nicht lan­ge. Ich weiß es nicht ge­nau. Und dann hat er ein Job ge­fun­den bei ei­nem Schnei­der. Klein, heißt er, Wal­ter Klein.

    FRITZ: Und was hat er da ge­macht? Genäht?

    SU­SI: Ja.

    FRITZ: Und er konn­te noch nähen?

    SU­SI: Ja, gut. Und die Fir­ma Er­nest Hil­ler hat­te sehr ge­schmack­vol­le Sak­kos für Män­ner.

    FRITZ: War das ein Maß­schnei­der oder ei­ne Kon­fek­ti­on?

    SU­SI: Kon­fek­ti­on, für Kauf­häu­ser. Es war ziem­lich groß, die­se Fir­ma.

    FRITZ: Er­zähl doch mal die Ge­schich­te. Wie du als ba­by nach Syd­ney ge­bracht wor­den bist.

    SU­SI: Das Schiff nach Syd­ney fährt um West­aus­tra­li­en her­um, ost­wärts. Mel­bourne und dann End­sta­ti­on Syd­ney. Und als Über­ra­schung für mei­ne Mut­ter ging mein Va­ter hin­un­ter nach Mel­bourne und hat am Schiff pas­sa­ge ge­bucht, Mel­bourne zu­rück nach Syd­ney, am Schiff. In Mel­bourne hat mei­ne Mut­ter so ei­ne Rund­fahrt ge­macht und auch das Ba­by, da wa­ren Leu­te am Schiff, die hat­ten mich ganz gern, ich war süßes Ba­by ge­we­sen, ha­be nie ge­weint und war ganz zu­frie­den, hap­py Ba­by und die ca­bin­crew, die ha­ben auf mich auf­ge­passt und mein Va­ter hat die Ka­bi­nen­num­mer, wo mei­ne Mut­ter und ich wohn­ten und woll­te hin­ein, aber die ca­bin­crew ließen ihn nicht hin­ein, sie kann­ten ihn nicht. Er war ein frem­der Mann, sag­te er ist der Va­ter von dem Kind, aber die wuss­ten das nicht ge­nau und er muss­te war­ten bis mei­ne Mut­ter zu­rück zum Schiff kam und da sah er mich zum ers­ten Mal. Das war Mai 1950. Da war ich 4 oder 5 Mo­na­te alt.

    FRITZ: Wie lan­ge hat die Schiff­fahrt ge­dau­ert?

    SU­SI: Ich glau­be un­ge­fähr 5 Wo­chen. Nein, 4.

    FRITZ: Ging das Schiff von Ham­burg aus?

    SU­SI: Ja und durch den Su­es­ka­nal und dann um Aus­tra­li­en her­um. West­küs­te und dann zur Ost­küs­te.

    FRITZ: Warst du die schöns­te in dei­ner Fa­mi­lie?

    SU­SI: Nein, mein Bru­der. Mei­ne Mut­ter war sehr schön. Und mein Va­ter war auch ein hand­so­me man.

    FRITZ: Aber ich ha­be al­so ein Fo­to von dei­ner Mut­ter ge­se­hen, da war sie schon et­was äl­ter aber sie sah im­mer noch gut aus.

    SU­SI: Ja. Sie ist voll­kom­men fähig

    FRITZ: Sie er­in­nert sich im­mer noch dass du ih­re Toch­ter bist

    SU­SI: Och, und wie!

    FRITZ: Spricht sie noch Deutsch?

    SU­SI: Nur Eng­lisch, aber kön­nen tut sie es noch. Und mei­ne Ge­schwis­ter kön­ne kein Wort Deutsch.

    FRITZ: Und mö­gen der Guy und dein Mann ein­an­der, weil der Guy ja der ein­zi­ge ist, der Mu­si­ker ist wie dein Mann?

    SU­SI: Nein, Guy macht das als Be­ruf und ist sehr dis­zi­pli­niert, mein Mann ist nicht so ein fei­ner Mu­si­ker. Mehr ca­su­al.

    FRITZ: Singt er im­mer wie­der noch?

    SU­SI: Ja. Vie­le Freun­de von uns sind Mu­si­ker.

    FRITZ: Sei­ne Fa­mi­lie ist auch nach Aus­tra­li­en aus­ge­wan­dert. Was war der Be­ruf sei­nes Va­ters?

    SU­SI: Ich bin mir nicht si­cher. Als wir uns ge­trof­fen ha­ben, der war wie­der in Li­ba­non

    FRITZ: Wo ge­nau in Li­ba­non?

    SU­SI: Im Nor­den, in den Ber­gen. Und er kam nur nach Aus­tra­li­en zu Be­such, aber sei­ner Mut­ter hat mit uns ge­wohnt. Am An­fang im­mer nur zu Be­such aber als sein Va­ter in Li­ba­non starb, hat er sie mach Aus­tra­li­en ge­bracht und sie hat mit uns ge­wohnt. Wenn wir mit ara­bi­schen Leu­te zu­sam­men kom­men, und auch Mos­lems da­bei sind, stellt er mich im­mer als Jü­din vor. Und wenn Ju­den da­bei sind, stellt er mich als Deut­sche vor. He li­kes to stir the pot.

    Ab­schrift: Isa Knil­li

    Fritz und Susi
    Fo­to: Jo Knil­li

    Kom­men­tar des Mi­litär­his­to­ri­kers

    Lie­ber Pro­fes­sor Knil­li!

    Bes­ten Dank für das bun­te und große Os­ter­ei - es kam, ob­gleich ge­teilt, gut an. Fol­gend zwei klei­ne Be­mer­kun­gen.

    Dass Spiel­mann nach 1945 als Sol­dat der bri­ti­schen Ar­mee im Rah­men der al­li­ier­ten Be­sat­zungs­trup­pen in Deutsch­land ein­ge­setzt war, war kein Ein­zel­fall. Ich weiß von meh­re­ren Män­nern und auch Frau­en aus Ös­ter­reich, und durf­te ei­ni­ge auch noch selbst ken­nen­ler­nen, die das Land in der Zwi­schen­kriegs­zeit ver­las­sen hat­ten oder 1938/39 ver­trie­ben wur­den, und die 1945 als bri­ti­sche, süd­afri­ka­ni­sche oder US-Sol­da­ten nach Ös­ter­reich oder Deutsch­land ka­men. We­gen ih­rer Sprach­kennt­nis­se wa­ren sie für die Be­sat­zungs­ver­wal­tung na­tür­lich be­son­ders wich­tig.
    (...)
    Das "Büro für Aus­lands­stei­rer" ist im üb­ri­gen nur ei­nes von meh­re­ren Bei­spie­len, dass man in den letz­ten Jahr­zehn­ten in Ös­ter­reich nicht nur auf Bun­des-, son­dern auch auf Lan­des­ebe­ne die Be­deu­tung der Aus­lands­kon­tak­te stär­ker er­kannt hat als früher.

    Herz­li­che Grüße nach Ber­lin, wie stets,

    Ihr Er­win Schmidl


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    An­ti­se­mi­tis­mus­for­schung
    www.feucht­wan­ger.de
    www.ich-war-jud-su­ess.de


    Fort­set­zung im Mai in der Fol­ge 11/12 auf www.Der­In­ter­net­link.de


    Isa Knil­li

    Auf nach Syd­ney

    De­ar Su­si,
    We met in the train from Vi­en­na to Graz in 2013. The­re you told me the sto­ry of your fa­mi­lies' evic­tion from Aus­tria in 1938 and their emi­gra­ti­on to Aus­tra­lia. Me­anw­hi­le the si­tua­ti­on in Aus­tria has chan­ged. In 2016 the­re are no thousands of Aus­tri­ans being ex­pel­led, on the con­tra­ry, so­me of the ma­ny emi­grants are wel­co­med in this coun­try. How is the si­tua­ti­on in Aus­tra­lia now? Is it still a wel­co­m­ing coun­try? From the ex­pats com­mis­sio­ner of Sty­ria, Dr. Re­na­te Met­lar, I got in­te­res­ting re­ports on the con­tacts bet­ween Syd­ney and Sty­ria.

    Through the­se events and through the Aus­tra­li­ans from Sty­ria the­re could be achie­ved sym­pa­thy. The con­tact to the uni­ver­si­ties ab­road and the eco­no­mic con­nec­tions we­re in­ten­si­fied. But Sty­ria was al­so mo­ved in the spot­light through the joy cau­sed by our folk­songs and cul­tu­re (re­ad mo­re about this in the at­ta­ched news­pa­per ar­ti­cle) About that I would li­ke to talk to you in Syd­ney. When this ye­ar would my vi­sit be most con­ve­ni­ent?
    Love, Isa

    De­ar Isa
    Of cour­se I would be very hap­py to meet up with you and will ma­ke mys­elf avail­able whe­ne­ver it fits in with your Syd­ney iti­nera­ry. Just let me know when. The news­pa­per ar­ti­cle is very in­te­res­ting thank you.

    Plea­se gi­ve your Opa a big hug from me when you see him next.
    Love, Su­si

    De­ar Su­si! Thanks a lot! I am 16 ye­ars old now and I am at­ten­ding a pret­ty re­gu­lar high­school, "Auf der Schmelz" with a spe­ci­fi­ca­ti­on on sci­ence. I speak ger­man, english (ob­vious­ly), czech and spa­nish, sin­ce I spent last spring in Spain. I love to tra­vel alt­hough af­ter spen­ding fi­ve months in Val­la­do­lid with a short vi­sit in Por­tu­gal I ha­ve not co­me around to ma­ny new pla­ces. In my free ti­me I do not on­ly en­joy mee­ting up with fri­ends. I am in a youth group cal­led Ge­ne­ra­ti­on Earth, that plans and im­ple­ments dif­fe­rent pro­jects to rai­se awa­ren­ess to va­rious en­vi­ro­men­tal is­su­es. Next to that I al­so get mys­elf in­vol­ved a bit in the cur­rent si­tua­ti­on with the re­fu­gees for ex­amp­le through or­ga­ni­zing va­rious ac­tions with a in­itia­ti­ve that for­med at my school to sup­port spe­ci­fic re­fu­gees. In the ti­me that is not fil­led with all al­re­a­dy na­med ac­tivi­ties I play the gui­tar, play vol­ley­ball and ta­ke dan­cing les­sons. I ha­ve be­en wri­ting for the "In­ter­net­link" sin­ce sep­tem­ber 2015. You can find my ar­ti­cles on the web­page (www.der­in­ter­net­link.de)
    Hugs, Isa

Ein Im­biß­la­den
in Syd­ney

silbermann_buch

"End­lich, nach mehr­fa­chem Ver­stel­len der Arm­band­uhr und ge­zie­men­der Be­wun­de­rung des süd­li­chen Ster­nen­him­mels, be­ginnt un­ter laut­star­kem Ge­tu­te der Schiffs­si­re­nen die Ein­fahrt in den Ha­fen von Syd­ney, von dem an­ge­sagt ist, daß er sich durch be­son­de­re Schön­heit aus­zeich­ne, was dem Alp­hons so lang wie dünn ist. Und da Aus­tra­li­en nicht wie Ame­ri­ka über ei­ne Frei­heits­sta­tue ver­fügt, kann er auch nicht von Ju­bel­ge­schrei, Hal­le­lu­jas und Ho­si­an­nas be­rich­ten. Im üb­ri­gen fühlt er sich in kei­ner Wei­se be­freit, son­dern wid­met sich un­ter dem Schein der grö­len­den Son­ne Aus­tra­li­ens schweiß­ge­ba­det der Be­ant­wor­tung der zahl­lo­sen Fra­gen stäm­mi­ger, kurz­be­hos­ter Zoll­be­am­ter.

So, und nun steht er, von sei­nen zwei Kof­fern um­rahmt, auf der von Men­schen und Au­tos wim­meln­den Werft und fragt sich: Wo­hin? Es währt nicht all­zu­lan­ge, und er wird zu ei­ner Grup­pe her­an­ge­wun­ken, die bei ei­nem mit Schreib­stift und Pa­pier­kram aus­ge­stat­te­ten Men­schen steht. Die­ser ent­puppt sich als Re­prä­sen­tant ei­ner Aus­tra­li­an Je­wish Wel­fa­re So­cie­ty, und nach dem Ton, den er an­schlägt, muß es sich wohl um ei­ne Art of­fi­zi­el­le Auf­nah­me-, Re­gis­trie­rungs-, Hilfs- oder Un­ter­brin­gungs­in­stanz han­deln.

In der Tat wird er nach Vor­zei­gen von Paß und Ein­rei­se­pa­pie­ren auf ei­ner Lis­te ab­ge­hakt, mit­samt den an­de­ren drin­gend er­mahnt, um Him­mels wil­len in der Öf­fent­lich­keit kein Wort Deutsch, son­dern nur Eng­lisch zu spre­chen oder, wenn man es nicht kann, den Mund zu hal­ten, und auf­ge­for­dert, sich zur Re­gis­trie­rung auf dem Büro zu mel­den, und im üb­ri­gen sei in ei­ner sich Pitt Street nen­nen­den Straße un­ter der Num­mer So­wie­so auf der ers­ten Eta­ge ein Treff­punkt ein­ge­rich­tet, wo man über die Mit­tags­zeit ei­ne Tas­se Tee und ei­ne mit But­ter be­stri­che­ne Sem­mel oder so was ähn­li­ches zum Prei­se von drei Pence so­wie gu­te Rat­schlä­ge von frei­wil­li­gen Mit­ar­bei­tern der Wohl­fahrts­ge­sell­schaft ent­ge­gen­neh­men kön­ne.

Auf die ganz na­tür­li­che Fra­ge nach ei­nem bil­li­gen Ho­tel weist ihn der ge­stren­ge Flücht­lings­be­wa­cher dar­auf hin, daß Aus­tra­li­en kein großzügig mit Ho­tels be­s­tück­tes Tou­ris­mus­land sei, es für Un­be­mit­tel­te genü­gend möblier­te Zim­mer ge­be und der Herr, der da drü­ben ste­he, ihm bei der Su­che nach ei­nem sol­chen ger­ne be­hilf­lich sein wer­de, wo­bei sich dann her­aus­stellt, daß »der Herr da drü­ben« der Ver­mie­ter ei­nes Zim­mers ist, zu dem er ge­führt wird. Das nach sei­nen Vor­stel­lun­gen durch­aus preis­wer­te Zim­mer er­weist sich als ei­ne zur Straße ge­le­ge­ne über­deck­te Ve­ran­da, zu der man mühe­los nach Durch­schrei­ten des stets mit ir­gend­wel­chen Men­schen an­ge­füll­ten, sich »sit­ting room« nen­nen­den und mit Plüschso­fa und -ses­seln aus­staf­fier­ten Wohn­zim­mers ge­langt, das er je nach den Um­s­tän­den be­klei­det oder nur leicht be­schürzt zu durch­schrei­ten hat, falls ihn drin­gen­de Be­dürf­nis­se ins Bad oder auf die Toi­let­te ru­fen. Was soll es, sagt er sich, so sind nun mal die aus­tra­li­schen Sit­ten: Zäh­ne put­zen kann man übe­r­all, Haupt­sa­che, man putzt sie.

Da das aus­tra­li­sche Völk­chen an­ge­sichts der kli­ma­ti­schen Be­din­gun­gen ger­ne ein Le­ben im Frei­en führt, ha­ben Außen­ve­ran­den selbst­ver­s­tänd­lich kei­ne Vor­hän­ge, so daß ihm schon in der Herr­gotts­frühe sei­nes ers­ten aus­tra­li­schen Som­mer­ta­ges die Son­ne gü­tigst in die Au­gen blin­zelt. Zu­sam­men mit ei­ner Ban­de krei­schen­der Kin­der und ei­ner un­frisch drein­bli­cken­den Mut­ter ver­zehrt er sein dem eng­li­schen Bre­ak­fast ähn­li­ches Frühs­tück - die­ses bar­ba­ri­sche Ge­misch aus ge­schmor­ten Würs­ten, auf­ge­weich­tem Stock­fisch, in Speck­fett schwim­men­den Ei­ern, hoch­ge­süß­ter Oran­gen­mar­me­la­de und in Milch er­tränk­tem Tee - und be­gibt sich gu­ten Mu­tes zur An­lauf­stel­le der je­wish Wel­fa­re So­cie­ty in die Ci­ty. Auf dem ihm an­ge­wie­se­nen Weg sieht er viel Grün, uni­form aus­se­hen­de Häu­schen mit Vor­gar­ten und dann in der Ci­ty, dem Kern der Stadt, ho­he und nied­ri­ge Ge­bäu­de, was in ihm al­le­mal Er­in­ne­run­gen an sei­nen Auf­ent­halt als Schü­ler in Lon­don weckt. Sie zie­hen an ihm höchst un­we­sent­lich vor­über, eben­so be­lang­los wie ei­ne an die­ser Stel­le zu er­war­ten­de gründ­li­che Schil­de­rung des Or­tes, an dem er ei­nen Groß­teil sei­nes Le­bens zu ver­brin­gen ha­ben wird. Er ver­sagt sie sich, da er weiß, daß das heu­ti­ge Syd­ney in kei­ner Wei­se dem da­mals noch von in­ter­na­tio­na­ler Städ­te­pla­nung und Ar­chi­tek­tur kaum be­leck­ten Aus­se­hen ent­spricht, und er nicht ge­willt ist, als Ent­wick­lungs­län­der-His­to­ri­ker oder Ver­fas­ser ei­nes dem Frem­den­ver­kehr dien­li­chen Be­sin­nungs­auf­sat­zes in Er­schei­nung zu tre­ten. Er wird noch oft ge­nug Ge­le­gen­heit ha­ben, ihn be­tref­fen­de Si­tua­ti­ons­be­schreib­ma­gen im Zu­sam­men­hang mit Zeug­nis­sen über die Dis­har­mo­nie zwi­schen ab­brö­ckeln­den äußer­li­chen Er­schei­nungs­for­men und un­ge­stü­mer in­ner­li­cher Ver­fas­sung dar­zu­tun.

Es war nicht ge­ra­de epo­che­ma­chend, was ihm und den an­de­ren Hil­fe­stel­lung er­war­ten­den Emi­gran­ten von dem ei­nen oder an­de­ren Wohl­fahrts­herrn in be­schwing­ten An­spra­chen in dem Tee- und Bröt­chen­raum vor­ge­setzt wur­de. Un­ent­wegt stimm­ten sie Lob­ge­sän­ge über die Herr­lich­keit und Frei­zügig­keit des Lan­des so­wie über an­ge­brach­te Dan­kes­be­zeu­gun­gen an, er­wie­sen sich aber nur sel­ten als Rat­ge­ber oder Ver­mitt­ler für Ar­beits­stel­len. Das war schon recht so, denn schließ­lich wa­ren die dort ih­re Mit­tags­stun­de op­fern­den Her­ren frei­wil­li­ge Hel­fer oh­ne Ei­gen­in­ter­es­se, nur von ei­ner auf sich selbst bli­cken­den Wohl­tä­tig­keits­mo­ral ge­lei­tet, nach der es sich als Ju­de gehört, ver­trie­be­nen Ju­den ir­gend­wie bei­zu­ste­hen. Die mit jo­via­lem Schul­ter­klop­fen ver­bun­de­nen Wor­te: »You will be all­right« klin­gen ihm heu­te noch wie ein Mot­to für die To­ta­lität aus­tra­li­scher Le­bens­auf­fas­sung in den Oh­ren: je­der für sich selbst; nie­man­dem ver­pflich­tet; sieh, wie du wei­ter­kommst; wird schon wer­den; im Lan­de der Pio­nie­re ver­reckt man nicht - das war, ins Rea­le über­setzt, der Kern die­ser im Brust­ton der Über­zeu­gung auf­ge­stell­ten Leit­plan­ke. Sie soll­te sich ihm ein­prä­gen, denn er woll­te ja »all­right« sein. Auf dem We­ge dort­hin wa­ren im Au­gen­blick zwei Auf­ga­ben zu lö­sen: ein Job für ihn, ei­ne Ein­rei­se­er­laub­nis für die El­tern."

Aphons Sil­ber­mann schließt sei­ne in der Er­form ge­schrie­be­ne Au­to­bio­gra­phie mit ei­nem von Fried­rich Knil­li an­ge­reg­ten Ge­ständ­nis, das ihm vie­le Kol­le­gen die so ge­nann­te Freund­schaft kün­dig­ten.

"Was er sich im Le­ben auch zu­sam­men­ge­lo­gen hat - un­nö­tig zu be­to­nen, wie an­ders hät­te sich der Ju­de Sil­ber­mann im Über­le­ben auch be­wäh­ren kön­nen -, jetzt be­darf er der Lü­ge nicht mehr: Durch sein Er spricht die Wahr­heit sei­nes Ichs:
Ho­ni soit qui mal y pen­se.
Fi­nis in mei­nem jü­di­schen Jahr 5750."

Für Friedrich Knilli

Für Fried­rich Knil­li

Quel­le: Alp­hons Sil­ber­mann
Ver­wand­lun­gen
Ei­ne Au­to­bio­gra­phie. 1989

Der berühm­tes­te
Aus­lands­stei­rer

Schwarzenegger

Quel­le: Eva Ri­nal­di
http://www.flickr.com/pho­tos/eva­ri­nal­di­pho­to­gra­phy/9031269705/
CC BY-SA 2.0
https://com­mons.wi­ki­me­dia.org/w/in­dex.php?cu­rid=26631495

Im Re­fe­rat Kom­mu­ni­ka­ti­on der Lan­des­ver­wal­tung sitzt ein "Heer" von Stei­rern, aber kaum je­mand, der sich um die Öf­fent­lich­keits­ar­beit im Aus­land küm­mern könn­te. Das gilt auch für die Ab­tei­lung 9: Kul­tur, Eu­ro­pa, Außen­be­zie­hun­gen, was bei der großen Jubli­läums­ver­an­stal­tung am 11. Mai 2005 pein­lich zum Vor­schein kam. Denn da ging es um "60 Jah­re Frie­dens­schluss, 50 Jah­re Staats­ver­trag und zehn Jah­re EU- Mit­glied­schaft". An­we­send war so­gar der Bun­des­prä­si­dent, aber die großen Aus­lands­stei­rer der Nach­kriegs­pe­ri­oden fehl­ten, was dem Fest­red­ner, ei­nem un­ga­ri­schen Ju­den so­fort auf­fiel. Sein ers­ter Satz war ei­ne Wat­schen für Frau Lan­des­haupt­mann Klas­nic (*1945) und ein Dan­ke­schön für ei­nen ab­we­sen­den Ost­stei­rer: "Ich bin dem berühm­tes­ten Aus­lands­stei­rer, Ar­nold Schwar­ze­negger, sehr dank­bar. Er hat be­wie­sen, dass man mit ei­nem di­cken stei­risch-ös­ter­rei­chi­schen Ak­zent Gou­ver­neur des sech­streichs­ten Staa­tes der Welt sein kann."

Die­se Bla­ma­ge ka­schier­te Frau Lan­des­haupt­mann sehr schnell mit der Grün­dung ei­ner neu­en Behör­de: Büro für Aus­lands­stei­rer. Es wur­de im Ju­li 2005 ein­ge­rich­tet. Die Lei­tung be­kam ei­ne Frau mit ei­ner Na­tur­be­ga­bung und be­son­de­ren Bil­dung: Re­na­te Chris­ti­ne Met­lar. Dr. Phil. (1971), spricht Eng­lisch und Fran­zö­sisch und bau­te die Behör­de sys­te­ma­tisch zu ei­nem Met­lar Bu­reau of In­ves­ti­ga­ti­on aus mit ei­nem welt­wei­tem Netz­werk von Aus­land­stei­rern in al­len Be­ru­fen. Wann im­mer ein Stei­rer ei­nen Ge­schäfts­part­ner im Aus­land such­te, be­kam er Da­ten vom Büro Met­lar. Und auch der Aus­land­stei­rer in der Stei­er­mark. Al­les dis­kret und ver­deckt. Die In­for­ma­ti­ons­ge­win­nung er­for­der­te oft Me­tho­den der Ge­heim­di­plo­ma­tie. Die Nähe zu Lan­des­ver­rat und Spio­na­ge ver­lang­te Präzi­si­on. Wich­tig sei, "dass die Men­schen wei­ter­hin mit ih­rem Hei­mat­land ver­bun­den sind und in Kon­takt blei­ben und dass auch wir auf de­ren Res­sour­cen zu­rück­grei­fen kön­nen. Wir sind für sie da, wenn sie ein An­lie­gen ha­ben oder Hil­fe benö­ti­gen, gleich­zei­tig ma­chen sie Wer­bung und Image­pfle­ge für un­ser Land. Stei­rer im Aus­land sind un­se­re Son­der­bot­schaf­ter!"

Wa­ren da auch die Spiel­mans bei dem un­ter­halt­sa­men Hei­mat­abend am 15. Au­gust 2015 in Syd­ney? (Klick auf die un­ten ste­hen­de Gra­fik).

Die neue Woche

Viel­leicht
nach Paläs­ti­na

Arthur Schnitzler

Der Weg ins Freie
Zwei­tes Ka­pi­tel

Die Schlaf­zim­mer­tür tat sich auf, Herr Eh­ren­berg er­schien und be­grüß­te Nürn­ber­ger.

»Hast du schon fer­tig ge­packt?« frag­te El­se.

»Fix und fer­tig«, ant­wor­te­te Eh­ren­berg, der ei­nen viel zu wei­ten grau­en An­zug an­hat­te und ei­ne große Zi­gar­re mit den Zäh­nen fest­hielt. Er­klä­rend wand­te er sich an Nürn­ber­ger. »Wie Sie mich da se­hen, fahr ich heu­te nach Kor­fu... vor­läu­fig.
(...)
»Ge­den­ken Sie den gan­zen Win­ter fort­zu­blei­ben?« frag­te Nürn­ber­ger.

»Es wär' mög­lich. Ich hab näm­lich die Ab­sicht wei­ter zu fah­ren, nach Ägyp­ten, nach Sy­ri­en, wahr­schein­lich auch nach Paläs­ti­na. Ja, viel­leicht ist es nur, weil man äl­ter wird, viel­leicht weil man so­viel vom Zio­nis­mus liest und der­glei­chen, aber ich kann mir nicht hel­fen, ich möcht Je­ru­sa­lem ge­se­hen ha­ben, eh ich ster­be.«

Frau Eh­ren­berg zuck­te die Ach­seln.

»Das sind Sa­chen«, sag­te Eh­ren­berg, »die mei­ne Frau nicht ver­steht, - und mei­ne Kin­der noch we­ni­ger. Was hast du da­von, El­se, du auch nicht. Aber wenn man so liest, was in der Welt vor­geht, man möcht sel­ber manch­mal glau­ben, es gibt für uns kei­nen an­dern Aus­weg.«

»Für uns?« wie­der­hol­te Nürn­ber­ger. »Ich ha­be bis­her nicht die Be­ob­ach­tung ge­macht, daß Ih­nen der An­ti­se­mi­tis­mus auf­fal­lend ge­scha­det hät­te.«

»Sie mei­nen, weil ich ein rei­cher Mann ge­wor­den bin? Wenn ich Ih­nen sa­gen möcht, ich mach mir nichts aus dem Geld, wür­den Sie mir na­tür­lich nicht glau­ben, und Sie hät­ten Recht. Aber wie Sie mich da se­hen, ich schwör Ih­nen, die Hälf­te von mei­nem Ver­mö­gen gäb ich her, wenn ich die ärgs­ten von un­sern Fein­den am Gal­gen säh.«

»Ich fürch­te nur«, be­merk­te Nürn­ber­ger, »Sie wür­den die Un­rich­ti­gen hän­gen las­sen.«

»Die Ge­fahr ist nicht groß«, er­wi­der­te Eh­ren­berg, »grei­fen Sie da­ne­ben, er­wi­schen Sie auch ei­nen.«

»Ich be­mer­ke nicht zum ers­ten­mal, lie­ber Herr Eh­ren­berg, daß Sie die­ser Fra­ge nicht mit der wün­schens­wer­ten Ob­jek­ti­vität ge­genüber­ste­hen.«

Eh­ren­berg zer­biß plötz­lich sei­ne Zi­gar­re und leg­te sie mit wut­zit­tern­den Fin­gern auf die Aschen­scha­le. »Wenn mir ei­ner da­mit kommt... und gar... ent­schul­di­gen Sie... oder sind Sie viel­leicht ge­tauft...? Man kann ja heut­zu­tag nicht wis­sen.«

»Ich bin nicht ge­tauft«, er­wi­der­te Nürn­ber­ger ru­hig. »Aber al­ler­dings bin ich auch nicht Ju­de. Ich bin längst kon­fes­si­ons­los ge­wor­den; aus dem ein­fa­chen Grun­de, weil ich mich nie als Ju­de ge­fühlt ha­be.«

»Wenn man Ih­nen ein­mal den Zy­lin­der ein­schla­ge auf der Rings­traße, weil Sie, mit Ver­laub, ei­ne et­was jü­di­sche Na­se ha­ben, wer­den Sie sich schon als Ju­de ge­trof­fen füh­len, ver­las­sen Sie sich dar­auf.«
(...)
»Es wird Sie si­cher freu­en zu er­fah­ren«, wand­te sich Eh­ren­berg an Nürn­ber­ger, »daß auch mein Sohn Os­kar ein An­ti­se­mit ist.«

Frau Eh­ren­berg seufz­te lei­se. »Es ist ei­ne fi­xe Idee von ihm«, sag­te sie zu Nürn­ber­ger. »Übe­r­all sieht er An­ti­se­mi­ten, selbst in der ei­ge­nen Fa­mi­lie.«

»Das ist die neu­es­te Na­tio­nal­krank­heit der Ju­den«, sag­te Nürn­ber­ger. »Mir selbst ist es bis­her erst ge­lun­gen, ei­nen ein­zi­gen ech­ten An­ti­se­mi­ten ken­nen zu ler­nen. Ich kann Ih­nen lei­der nicht ver­heh­len, lie­ber Herr Eh­ren­berg, daß der ein be­kann­ter Zio­nis­ten­füh­rer war.«

Eh­ren­berg hat­te nur ei­ne viel­sa­gen­de Hand­be­we­gung.