Buch
Stol­per­stein An­nen­straße 34, Graz
Stei­er­mark, Ös­ter­reich. Fo­to: Da­nie­la Gra­be
Glo­bal Po­si­tio­n­ing Sys­tem (GPS)
47° 07' 12.74" Nord,15° 42' 62. 77" East
Der

In­ter­net­link

Fol­ge 11(13)

Mai 2016
Tech­ni­sche Uni­ver­sität Ber­lin. Me­di­en­wis­sen­schaft. Pra­xis­pro­jekt
IFAM: Das In­sti­tut für an­ge­wand­te Me­di­en­wis­sen­schaft - Fried­rich Knil­li (ifam-ber­lin.de)
  1. Fried­rich Knil­li

    Ein jü­di­scher »Stei­rer­bua« er­obert Schang­hai

    Seit 170 Jah­ren ver­bin­det die An­nen­straße in Graz den Bahn­hof mit der In­nen­stadt. In den sieb­zi­ger Jah­ren war sie die dritt­größ­te Ein­kaufs­straße Ös­ter­reichs. Das sei heu­te kaum vor­stell­bar, meint der His­to­ri­ker Ku­binz­ky 2008, aber wahr: "Die An­nen­straße (1846) wur­de Jahr­zehn­te vor der Mo­to­ri­sie­rung als früh­grün­der­zeit­li­che Pracht­straße ge­plant. Fußgän­ger, Kut­schen, Fuhr­wer­ke und auch Rei­ter wa­ren über Jah­re ih­re ein­zi­gen Be­nut­zer. Man­che äl­te­re Häu­ser ha­ben noch die ty­pi­sche Kut­schen­ein­fahrt mit Prell­stei­nen und ehe­ma­li­gen Stall­ge­bäu­den im Hof. Am Be­ginn der Kar­rie­re der An­nen­straße stand 1844 der ers­te be­schei­de­ne Bahn­hof mit der nur bis Mürz­zu­schlag füh­ren­den Ei­sen­bahn­stre­cke. Zehn Jah­re spä­ter konn­te man schon über den Sem­me­ring nach Wien fah­ren, ab 1857 so­gar nach Tri­est.

    BuchHel­mut Spiel­mann:
    "Shang­hai -
    ei­ne Ju­gend im Exil"

    Her­aus­ge­ge­ben von
    Ge­rald Lam­precht und
    In­ge­borg Ra­dims­ky.
    Clio Ver­lag Graz 2015
    Preis: Eu­ro 18.00

    Für die vie­len Pend­ler, die Tag für Tag durch die An­nen­straße in Rich­tung In­ne­re Stadt un­ter­wegs wa­ren, wa­ren je­doch die lo­ka­len Bahn­stre­cken, wie je­ne nach Köflach (1860), von größe­rer Wich­tig­keit. Seit 130 Jah­ren nutzt der öf­fent­li­che Ver­kehr un­se­re 'Bahn­hof­straße'.(...) Zu­erst war es die Pfer­de­tram (1878), dann ab 1899 die Elek­tri­sche. (...) Was wä­re die An­nen­straße oh­ne das An­nen­hof­ki­no? Schräg ge­genüber gab es durch Jahr­zehn­te das Uni­on­ki­no (ehe­ma­li­ges Edi­son­ki­no), das zu­letzt durch sei­ne Aben­teu­er­fil­me po­pu­lär war." 1

    Elf­tes Ka­pi­tel
    An­nen­straße 34

    Vor dem ehe­ma­li­gen Uni­on­ki­no lie­gen heu­te 8 Stol­per­stei­ne und sol­len an die Fa­mi­lie Spiel­mann er­in­nern, was mit ei­nem Vier­zei­ler bis Neun­zei­lern nicht geht. Auf dem ers­ten Stein steht: "Hier wohn­te Wil­helm Spiel­mann Jg. 1876. Ent­eig­net 13.10.1938. Flucht 1939. Paläs­ti­na. Über­lebt." Dass der Stein in der An­nen­straße liegt, ist rich­tig und wich­tig, nicht weil er hier mal wohn­te, son­dern des­halb, weil sich sein gan­zes Be­rufs­le­ben und das sei­ner Groß­fa­mi­lie in der An­nen­straße ab­spiel­te. Wil­helm war der ers­te der aus Ni­kols­burg ein­ge­wan­der­ten Spiel­manns, der in der Frem­de zur Welt kam und sei­ne Aus­bil­dung zum Kauf­mann in der An­nen­straße 22 mach­te. Hier im Klei­der­haus Al­bert Kern war er Lehr­ling (1891-1894) und Ge­sel­le (1895-1907). Und sein ers­tes Ge­schäft grün­de­te er 1908 mit dem Schnei­der­meis­ter Leon­hard Urnaut in der An­nen­straße 25. Zu sei­nem Ge­schäft in der An­nen­straße 34 kam er 1914 durch sei­ne Be­tei­lung am Um­bau des Kienzl-Ge­bäu­des zu ei­nem Ki­no und er be­kam da­mit die Chan­ce, die von der Ge­wer­be­ord­nung ver­lang­te Tren­nung von Maß­schnei­de­rei und Kon­fek­ti­on zu prak­ti­zie­ren. Er be­saß nun zwei Ge­schäf­te in der An­nen­straße. Im Haus Nr. 25 ei­nen Klei­der­ma­cher­la­den. Im Haus Nr. 34 ver­kauf­te er Kon­fek­ti­on, die Spiel­mann zu ei­nem füh­ren­den Her­ren­aus­stat­ter ne­ben dem Ki­no ent­wi­ckel­te. Hier konn­ten sich der ele­gan­te Herr nach dem Ki­no die Sac­cos kau­fen, die sei­ner Be­glei­te­rin an ih­rem Film­lieb­ling so gut ge­fie­len. In Spiel­manns Schau­fens­tern hin­gen die weißen Zwei­rei­her und die ele­gan­ten Fracks, die die Gangs­ter in den Hol­ly­wood­fil­men über­le­bens­groß auf der Ki­no­lein­wand ne­ben­an tru­gen.

    Das Ki­no wur­de von Karl Löf­f­ler ge­grün­det. Er nann­te es Edi­son Thea­ter. Zwei Ta­ge vor der Eröff­nungs­vor­stel­lung am 14. Ju­li 1910 schrieb die "Ta­ges­post":

    "Die­ses neue Un­ter­neh­men ist in vor­neh­mem Stil aus­ge­führt, der sei­nen Schöp­fern das bes­te Zeug­nis für ih­ren künst­le­ri­schen Ge­schmack und ihr tech­ni­sches Ver­s­tänd­nis aus­stellt. Man ge­langt zu­n­ächst in ei­nen brei­ten hel­len Vor­raum, in des­sen Mit­te sich zwei Kas­sen be­fin­den. Links vom Ein­gang be­fin­den sich hüb­sche Bü­fett­räu­me, da­von ei­ner in hol­län­di­schem Gen­re. Aus der Vor­hal­le ge­langt man in ei­nen rei­zen­den, täu­schend nach­ge­ahm­ten Gar­ten mit ja­pa­ni­schen Am­peln, der für die Gar­de­ro­be be­stimmt ist. Weiße und li­la­far­bi­ge Flie­der­bäu­me flan­kie­ren den Ein­gang, Kirsch- und Ap­fel­blü­ten so­wie Gold­re­gen- und Gly­ci­ni­en­gir­lan­den ran­ken sich von Tra­ver­se zu Tra­ver­se, die das Glas­dach tra­gen, das den brei­ten Raum voll­s­tän­dig über­deckt, oh­ne ihm die Ta­ges­hel­le zu neh­men.

    Ein sehr ge­fäl­li­ges Aus­se­hen ge­währt das In­ne­re des Thea­ters. Der Saal ist 21 Me­ter lang, 12 Me­ter breit, 8 Me­ter hoch und in dis­kre­ter Gold­ver­zie­rung in Weiß ge­hal­ten, was ei­nen sehr freund­li­chen Ein­druck ver­leiht. Er hat ei­nen Fas­sungs­raum für 550 Per­so­nen. Außer dem großen Par­terre hat das Edi­son-Thea­ter im ers­ten Stock­wer­ke Lo­gen, Bal­kon- und Ga­le­rie­sit­ze. Der Or­ches­ter­raum ist eben­falls geräu­mig ge­hal­ten. Die Bild­fläche hat ei­ne Größe von 5,8 Me­ter Brei­te und 4,6 Me­ter Höhe. Die Akus­tik des Saa­les scheint gut zu sein.
    (...)
    Mit die­sem Thea­ter er­hielt Graz das schöns­te die­ses Kunst­zwei­ges in Ös­ter­reich, mit­hin ei­ne an sich al­lein be­ach­tens­wer­te Se­hens­wür­dig­keit ... " (149)

    In der An­nen­straße wuss­te je­der jü­di­sche Kauf­mann, was sei­ne christ­li­chen Kun­den ih­ren Lie­ben zu Os­tern, Pfings­ten und Weih­nach­ten schenk­ten. Aber Spiel­mann ver­gaß dar­über nicht sei­ne Her­kunft aus dem jü­di­schen Bil­dungs­bür­ger­tum von dem berühm­ten Ni­kols­burg in Süd­mäh­ren. Er schenk­te sei­nem Nef­fen kein Buch des deutsch­na­tio­na­len Dich­ters Pe­ter Ro­seg­ger, dem zu Eh­ren in der An­nen­straße ein gan­zes Eck­haus ge­wid­met wur­de. Er schenk­te sei­nem Nef­fen ei­nen drei­bän­di­gen Les­sing, her­aus­ge­ge­ben von Hein­rich Lau­be. Und er ver­lang­te von sei­ner christ­li­chen Schwä­ge­rin, dass sie für Pes­sach kein stei­ri­sches Os­ter­es­sen auf­tisch­te, son­dern jü­di­sche Küche ko­chen lern­te. Wil­helm Spiel­mann, sei­ne Frau Ama­lia und sei­ne Toch­ter Gre­te emi­grier­ten nach Paläs­ti­na. Ama­lia starb 1944. Va­ter und Toch­ter er­leb­ten die Grün­dung des Staa­tes Is­ra­el.

    familie_w_spielmann
    Fa­mi­lie Wil­helm Spiel­mann, ©Su­si To­u­ma

    Kom­men­tar des Mi­litär­his­to­ri­kers Er­win Schmidl

    Es ist schon be­mer­kens­wert, wie sehr der so gern zi­tier­te Karl Kraus an­ti­se­mi­ti­sche Ste­reo­ty­pe benützt - hier et­wa der Ver­weis auf den "di­cke[n] Jud vom Au­to­mo­bil­korps: 'Sein Bauch ist der Mo­loch. Sei­ne Na­se ist ei­ne Si­chel, von der Blut tropft.'" Könn­te fast aus dem "Stür­mer" stam­men.

    Das hier an­ge­spro­che­ne k.k. Frei­wil­li­ge Au­to­mo­bi­lis­ten-Korps war üb­ri­gens, 1906 auf­ge­stellt, ei­ne recht jun­ge For­ma­ti­on: Be­sit­zer von Au­to­mo­bi­len - da­mals per de­fi­ni­tio­nem reich und da­her von Kraus als "jü­disch" kon­no­tiert - konn­ten mit ih­ren Au­tos ein­rü­cken, um dem Mi­litär im Fal­le der Mo­bi­li­sie­rung genü­gend Fahr­zeu­ge zur Ver­fü­gung zu stel­len. Sehr mo­dern - d.h. im Er­schei­nungs­bild sehr eng­lisch - ad­jus­tiert, wa­ren sie vie­len Tra­di­tio­na­lis­ten ein Hor­ror. Ein Tipp zum Wei­ter­le­sen: Al­bert Lo­renz (der äl­te­re Bru­der des spä­te­ren No­bel­preis­trä­gers Kon­rad Lo­renz) war Arzt und be­geis­ter­ter Au­to­fah­rer; 1963 er­schien sein Buch "Al­te Au­tos, jun­ge Lie­be" (Wien: Kre­mayr & Sche­ri­au, 1963).

    Bei die­ser Ge­le­gen­heit üb­ri­gens noch der Hin­weis, dass die üb­li­chen Kli­schees ("Al­le Ju­den dien­ten beim Train [= dem Nach­schub] oder in der Sa­nität" oder auch "Al­le Mi­litärärz­te wa­ren Ju­den") nicht stim­men - sie ver­wei­sen auf tra­di­tio­nel­le, aber un­be­grün­de­te Vor­ur­tei­le von "jü­di­scher Feig­heit" oder Drü­cke­ber­ge­rei. Im Ers­ten Welt­krieg dien­ten rund 300.000 Ju­den in der k.u.k. Ar­mee; et­wa 30.000 fie­len. Über 90 % der jü­di­schen Sol­da­ten dien­ten in der Kampf­trup­pe, die meis­ten in der In­fan­te­rie.

    Das Ge­dicht Ot­to­kar Kern­stocks (aus dem Band "Stei­ri­scher Waf­fen­se­gen") zeigt - für heu­ti­ge Le­ser er­schre­ckend - wie sehr die da­ma­li­ge Kriegs­eu­pho­rie auch die Li­te­ra­ten er­fasst hat­te. Al­ler­dings zei­gen ja ak­tu­el­le Bei­spie­le - vom ehe­ma­li­gen Ju­go­sla­wi­en bis nach Sy­ri­en -, wie leicht Men­schen fa­na­ti­siert wer­den kön­nen.


    zu­rück zur Fol­ge 10

    wei­ter zur Fol­ge 12


    An­ti­se­mi­tis­mus­for­schung
    www.feucht­wan­ger.de
    www.ich-war-jud-su­ess.de


    Fort­set­zung im Ju­ni in der Fol­ge 12/12 auf www.Der­In­ter­net­link.de


    Isa Knil­li

    Milch [le­che]

    Kuh
    un­be­kann­te Auf­nah­me aus dem Web

    La pri­me­ra vez que me he in­for­ma­do sob­re la pro­duc­ción de le­che fue es­te año en se­ma­na san­ta. Lo que pa­sa es que he ele­gi­do ha­cer una pre­sen­ta­ción en mi cla­se de es­pañol sob­re las ven­ta­jas y dis­ven­ta­jas de que los es­pañoles con­su­men acei­te de oli­va en vez de co­mer tan­ta man­te­quil­la co­mo el aus­tri­a­co. En el pro­ce­so de pre­par­ar­lo he en­con­tra­do muchas co­sas de cua­les no es­tuve con­sci­en­te. Nun­ca fui un gran fan de le­che pe­ro a ve­ces me tomé un co­la­cao. Su­pe an­tes que muchas va­cas vi­ven ba­jo muy ma­las con­di­cio­nes. De que nun­ca pensé es que ex­ac­ta­men­te co­mo no­so­tros hu­ma­nos, la va­ca fe­meni­na so­lo da le­che cuan­do ti­ene hi­jo. Es­to signífi­ca que el agri­cul­tor in­se­mi­na las va­cas ar­ti­fi­ci­al­men­te pa­ra que las pue­de or­deñar. Di­rec­ta­men­te des­pués del na­ci­mi­en­to se se­pa­ra el ter­ne­ro de su madre pa­ra que no se for­ma una con­e­xión emo­cio­nal. Si se se­pa­ra los dos ani­ma­les cuan­do es­ta con­e­xión emo­cio­nal ya exis­te la madre pu­die­ra de­jar de dar tan­ta le­che por el do­lor de dis­pe­di­da. Es­to no es, se­gun to­das las in­for­macio­nes que en­contré, di­fe­ren­te pa­ra las va­cas de los agri­cul­to­res orgáni­cos. Sob­re to­do des­pués de es­ta per­spi­ca­cia em­pecé de to­mar mi café con le­che de ave­na en vez de la le­che de va­ca. Pe­ro sin em­bar­go del mo­men­to no pue­do de­jar de to­mar lácte­os com­ple­ta­men­te. De mi vis­ta es sob­re to­do lo más im­port­an­te sa­ber que im­pac­tos tu com­part­a­mi­en­to ti­ene. De los otros pro­ble­mas de la in­dus­tria láctea co­mo por ejem­plo la mu­cha mas ba­ja ex­pec­ta­ti­va de vi­da de una re­je­ga en com­pa­ra­ción con una va­ca "nor­mal" no em­pecé ni de hab­lar y ya he fa­ci­li­ta­do mucho ma­te­ri­al pa­ra leer.


    1Karl Al­brecht Ku­binz­ky
    Was Wien die Ma­ria­hil­fer Straße ist Graz un­se­re An­nen­straße.
    In: Stadt Graz (Hg.), Die Gra­zer An­nen­straße. An­sich­ten und Mo­bi­lität einst. 2008, S. 15

Karl Kraus

DIE LETZ­TEN TA­GE
DER MENSCH­HEIT

Tra­gö­die in 5 Ak­ten mit Vor­spiel und Epi­log. Über 200 lo­se Sze­nen. Sa­ti­re auf den Ers­ten Welt­krieg. Ent­stan­den in den Jah­ren 1915-1922.

karl_kraus

Quel­le: wi­ki­me­dia.org

I. Akt: 22. Sze­ne

Op­ti­mist und Nörg­ler vor dem Kriegs­mi­nis­te­ri­um in Wien

Der Nörg­ler: Die Mas­ken an der Fas­sa­de die­ser Sün­den­burg, die rechts schaut und links schaut ma­chen, sind heu­te be­son­ders stramm ori­en­tiert. Wenn ich län­ger auf ei­nen die­ser ent­setz­li­chen Köp­fe schaue, be­kom­me ich Fie­ber.

Der Op­ti­mist: Was ha­ben Ih­nen die­se al­ten mar­tia­li­schen Ty­pen ge­tan?

Der Nörg­ler: Nichts, nur daß sie mar­tia­lisch sind und den­noch den Send­bo­ten Mer­kurs den Ein­tritt nicht weh­ren konn­ten. Zu al­ler Blutschlam­pe­rei noch die­ser my­tho­lo­gi­sche Wirr­warr! Seit wann ist denn Mars der Gott des Han­dels und Mer­kur der Gott des Krie­ges?

Der Op­ti­mist: Der Zeit ih­ren Krieg!

Der Nörg­ler: So ist es. Aber die Zeit hat nicht den Mut, die Em­ble­me ih­rer Nied­rig­keit zu er­fin­den. Wis­sen Sie, wie der Ares die­ses Krie­ges aus­sieht? Dort geht er. Ein di­cker Jud vom Au­to­mo­bil­korps. Sein Bauch ist der Mo­loch. Sei­ne Na­se ist ei­ne Si­chel, von der Blut tropft. Sei­ne Au­gen glän­zen wie Kar­fun­kel­stei­ne. Er kommt zum De­mel ge­fah­ren auf zwei Mer­ce­des, kom­plett ein­ge­rich­tet mit Draht­sche­re. Er wan­delt da­hin wie ein Schlaf­sack. Er sieht aus wie das lie­be Le­ben, aber Ver­der­ben be­zeich­net sei­ne Spur.

Der Op­ti­mist: Sä­gen Sie mir, ich bitt Sie, was ha­ben Sie ge­gen den Op­pen­hei­mer?

III. Akt: 32. Sze­ne

Ei­ne stil­le Poe­ten­klau­se im stei­ri­schen Wald

Ein Kern­stock-Ver­eh­rer: Pst - lei­se - da sitzt er, ganz ver­sun­ken -

Ein zwei­ter Kern­stock-Ver­eh­rer: Von hier aus sen­det er sei­ne Lie­der ins Land, Lie­der von kraft­vol­ler, da­bei doch sin­ni­ger und oft un­be­schreib­lich zar­ter Ei­gen­art, Lie­der -

Der Ers­te: Ei, es soll­te mich wun­dern, wenn er nicht eben -

Der Zwei­te: So scheint es. Still! Al­le sei­ne Hö­rer wer­den, ent­flammt an sei­ner Flam­me, das Emp­fan­ge­ne der­einst als Leh­rer tau­send­fäl­tig wei­ter­ge­ben und in die Her­zen ei­ner neu­en Ju­gend wird ver­senkt wer­den, was die­ser ei­ne Mann auf sei­ner wal­d­um­rausch­ten, ein­sa­men Burg in jahr­zehn­te­lan­ger Ar­beit er­grün­de­te.

Der Ers­te: Für­wahr, der Pfarr­herr von der Fes­ten­burg ist ein Mann, der mit feu­ri­ger, be­gna­de­ter Zun­ge al­le le­ben­di­gen Schön­hei­ten der Got­tes­welt zu prei­sen ver­steht. Still!

Der Zwei­te: Pst - es scheint über ihn ge­kom­men zu sein. Wird es ein Ge­dicht oder ein Ge­bet?

Kern­stock (mur­melt):
Be­drängt und hart geängs­tigt ist
Dein Volk von frem­den Hor­den,
Durch Über­mut und Hin­ter­list
Mit Sen­gen und mit Mor­den.

Der Ers­te: Ei das ken­ne ich schon. Das ist ja das Ge­bet vor der Hun­nen­schlacht.

Kern­stock (mur­melt):
O Herr, der uns am Kreuz er­löst,
Er­lös' uns von der Hun­nen­pest!
Ky­rie elei­son!

Der Zwei­te: Kein Wun­der, daß er die Be­ru­fung nach Wien an­ge­nom­men hat. Ge­adelt durch sei­nen Pries­ter­be­ruf, muß er auch als Mensch die al­ler­tiefs­te und nach­hal­tigs­te Wir­kung auf sei­ne ju­gend­li­chen Zu­hö­rer aus­ü­ben.

Kern­stock (mur­melt):
Mit uns sind die himm­li­schen Scha­ren all,
Sankt Mi­chel ist un­ser Feld­mar­schall.

Der Ers­te: Ei­nen Au­gen­blick lang wird ja der Pfarr­herr von der Fes­ten­burg ge­zö­gert ha­ben, sei­ne ver­träum­te, stil­le Poe­ten­klau­se im stei­ri­schen Wald mit dem Lärm der Groß­stadt zu ver­tau­schen. Ei­nen Au­gen­blick lang nur -

Kern­stock (mur­melt):
Da wink­te Gott - der Rächer kam,
Das Ra­che­schwert zu zü­cken
Und, was dem Schwert ent­rann, im Schlamm
Der Sümp­fe zu er­sti­cken.

Der Zwei­te: Dann aber wird wohl die Er­kennt­nis in ihm ge­siegt ha­ben, welch ho­her Be­ruf sich ihm hier er­schließt, welch neue Mög­lich­kei­ten ethi­scher, künst­le­ri­scher, kul­tur­för­dern­der Be­tä­ti­gung sich ihm in Wien bie­ten. Und die Stim­me die­ser Er­kennt­nis wird bald die Ober­hand ge­won­nen ha­ben über das ver­lo­cken­de Rau­schen der Tan­nen­fors­te um die Fes­ten­burg.

Bei­de: Still!

Kern­stock (wie über­wäl­tigt):
Stei­ri­sche Hol­zer, holzt mir gut
Mit Büch­sen­kol­ben die Ser­ben­brut!
Stei­ri­sche Jä­ger, trefft mir glatt
Den rus­si­schen Zot­tel­bä­ren aufs Blatt!
Stei­ri­sche Win­zer, preßt mir fein
Aus Welsch­land­frücht­chen blut­ro­ten Wein!

Der Ers­te: Es ist nichts Neu­es, aber es reißt im­mer von Neu­em fort. Der Au­gen­blick ist da. Wenn wir ihn jetzt beim Wort neh­men und ihm als schwär­me­ri­sche Jüng­lin­ge un­se­re Stamm­bücher hin­hal­ten, so wär's ei­ne Er­in­ne­rung fürs Le­ben.

Der Zwei­te: Für­wahr, das wol­len wir!

Quel­le:
ty­pe
dra­ma
aut­hor
Karl Kraus
tit­le
Die letz­ten Ta­ge der
.
Mensch­heit
pu­blis­her
Ver­lag Volk und Welt
ye­ar
1971
cor­rec­tor
reu­ter­s@abc.de
sen­der
www.wel­cker-on­line.de
crea­ted
20071125

DER PRIES­TER

ottokar_kernstock

Das Ha­ken­kreuz (1923)

Das Ha­ken­kreuz im weißen Feld
Auf feu­er­ro­tem Grun­de
Gibt frei und of­fen al­ler Welt
Die hoch­ge­mu­te Kun­de:
Wer sich um die­ses Zei­chen schart.
Ist deutsch mit See­le, Sinn und Art
Und nicht bloß mit dem Mun­de.

Das Ha­ken­kreuz im weißen Feld
Auf feu­er­ro­tem Grun­de -
Zum Volks­mal ward es aus­er­wählt
In erns­ter Schick­sals­stun­de,
Als un­ter Schmer­zen, heiß und tief,
Das Va­ter­land um Hil­fe rief,
Das teu­re, to­des­wun­de.

Das Ha­ken­kreuz im weißen Feld
Auf feu­er­ro­tem Grun­de
Hat uns mit stol­zem Mut be­seelt.
Es schlägt in uns­rer Run­de
Kein Herz, das feig die Trä­ne bricht.
Wir fürch­ten Tod und Teu­fe nicht!
Mit uns ist Gott im Bun­de!

akademie_graz

Für Rück­fra­gen:
Tel.: 0043/316/837985-14
oder
of­fice­@­aka­de­mie-graz.at